Im Podcast Lanz & Precht vom 29. Oktober spielt Precht den impfkritischen Ball von Joshua Kimmich weiter, sodass man um seine Karriere in Deutschland bangen muss. Lanz dagegen ziert sich noch etwas „verdruckst“, wie beide im Podcast die Corona-Kommunikation der Politiker bezeichnen. Über Schweden sind sie sich aber einig (ab 41min30):
Lanz: Ich würde auch nie sagen, dass dieser schwedische Sonderweg uneingeschränkt gut war…
Precht: Die Schweden hatten das Glück, dass sie nur zwei kleine Großstädte haben.
Lanz: Genau, es ist ein gigantisch großes Land, genau.
Precht: Die Coronainfektionen gehen ziemlich stark einher mit der Bevölkerungsdichte.
Lanz: Klar.
Precht: (…) Das heißt also, je urbaner man lebt, je enger man aufeinander lebt, je geringer die Räume sind, um so höher ist im Regelfall [das Infektionsgeschehen und dessen Folgen] (…) Das ist etwas worüber immer zuwenig geredet wurde, wenn wir über Schweden geredet haben. Also, es stellt sich einfach ’ne Corona-Politik in einem Land, in dem die Leute zum erheblichen Teil weit von einander entfernt wohnen, und sich ohnehin nicht gerne umarmen, ganz anders dar, als in einer süditalienischen Großstadt.
Lanz: Ja, das ist wahr.“
Die Behauptung, dass Coronainfektionen „ziemlich stark mit der Bevölkerungsdichte einhergehen“ ist falsch. Eine solche kann nur aufstellen, wer den Unterschied zwischen Bevölkerungsdichte und Urbanisierung (Verstädterung) übersieht. Die Bevölkerungsdichte ist das Verhältnis von Einwohnerzahl zur Landesfläche bezogen auf einen Quadratkilometer. In Schweden sind es 23 Einwohner pro km², in Italien 199, also achtmal so viel. Das bedeutet aber nicht, wie Lanz und Precht fehlschließen, dass die Schweden zwangsläufig „zum erheblichen Teil weit(er) von einander entfernt wohnen“ als die Italiener. Das zeigt der Grad der Urbanisierung, also der Anteil der Bevölkerung, der in Städten lebt: 2020 waren es in Italien 71%, in Schweden aber 88% (Weltbank).
Die Schweden leben demnach trotz achtmal geringerer Bevölkerungsdichte auf engeren Raum zusammen als die Italiener, was auf eine unterschiedliche Siedlungsstruktur beider Länder zurückzuführen ist.
Vergleich mit Deutschland
Gleiches zeigt ein Vergleich mit Deutschland mit seinen 232 Einwohnern pro km² – zehnmal so viel wie in Schweden – aber einem Urbanisierungsgrad von nur 77%. Schwedens Urbanisierungsgrad von 88% besagt, dass dort 11% mehr Einwohner in Städten leben als in Deutschland, und 13% mehr als im EU-Durchschnitt von 75%.
Das mögliche Ausmaß eines Infektionsgeschehens kann nicht von der Bevölkerungsdichte abgeleitet werden, außer bei Ländern mit sehr kleiner Fläche und hoher Einwohnerzahl. Vielmehr ist der Urbanisierungsgrad entscheidend. Schwedens erfolgreicher „Sonderweg“ ab Sommer 2020 ohne Lockdown und Maskenpflicht – der vor Corona weltweit als epidemiologischer Standard galt – ist nicht durch eine geringe Bevölkerungsdichte oder Urbanisierung bedingt, weil „die Leute [in Schweden] zum erheblichen Teil weit von einander entfernt wohnen“, wie Lanz und Precht fälschlichererweise zu wissen meinen.
Zukünftig neue Messmethode zur Bestimmung der Urbanisierung
Die oben genannten Zahlen zur Urbanisierung sind mit einem gewissen Vorbehalt hinsichtlich der Vergleichbarkeit zu versehen. Es wurden die von den Staaten gemeldeten Daten verwendet. Deren Siedlungsklassifikationen sind jedoch zum Teil von einander abweichend, was eine Vergleichbarkeit insbesondere zwischen sehr unterschiedlichen Kulturen über Kontinente hinweg erschwert. Die Statistik-Kommission der Vereinten Nationen veröffentlichte deshalb Anfang März 2020 „Eine Empfehlung für die Methode zur Abgrenzung von Städten, städtischen und ländlichen Gebieten für internationale statistische Vergleiche“. Zur Ermittlung der Urbanisierung soll zukünftig die Landesfläche in Rasterzellen von je 1km² aufgeteilt werden. Durch einen Vergleich der Einwohnerzahl benachbarter Zellen, werden diese zu einem von drei definierten Siedlungstypen zusammengefasst oder aber verschiedenen zugeordnet. Mit dieser Methode könnte zukünftig die Urbanisierung unabhängig von unterschiedlichen nationalen Siedlungsklassifikationen bestimmt und so eine verbesserte internationale Vergleichbarkeit ermöglicht werden.
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